Der Leitgedanke dieses Buches ist einfach. Ich gehe davon aus, dass der Mensch und seine Institutionen extrem überfordert sind. Wir können die Welt im 21. Jahrhundert nicht umfänglich begreifen. Daher geht jeder von seiner eigenen Perspektive aus und produziert zwangsläufig Fehleinschätzungen und Täuschungen. Schon Jean Paul hat es treffend formuliert: „Im Wagen verachte ich den Fußgänger und auf der Straße den Fahrer.“ Dieser Selbstbezug ist gefährlich, da er den Blick auf das große Ganze verstellt. Aus der Summe dieser Verwirrungen entstehen katastrophale Krisen, deren Auswirkungen schon längst die Gestalt eines globalen Krieges angenommen haben. Der gesunde Menschenverstand ist orientierungslos und leidet an dieser undurchschaubaren Komplexität. Dieses Chaos führt geradewegs in die Scheinheiligkeit, da sich fast jeder Mensch auf seine Art zu behaupten versucht. Scheinheilig schon allein deshalb, weil man nicht bereit ist, die eigene Verantwortung anzuerkennen. Hier grassiert eine verlogene Krankheit unserer Zeit, welche die Schuld immer bei anderen sucht und sich die Sünden stets selbst vergibt.
Mein Lösungsvorschlag, um diese geistige Verirrung zu überwinden, ist die Hinwendung
zum lernbereiten Menschenverstand. Er kann als gemeinsamer Nenner dazu beitragen, ein Mindestmaß allgemein nachvollziehbarer Beurteilungen zu schaffen. Um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten, müssen die abstrakten Problemlagen auf eine konkrete Ebene gebracht werden. Erst wenn ein Problem tatsächlich erfasst und begriffen worden ist, kann man Vorgänge zu Ende denken und Verantwortung übernehmen. Die dazu notwendige Haltung bezeichne ich mit dem Begriff „Konkrethik“. Er soll verdeutlichen, dass die Richtigkeit des Handelns erst dann feststeht, wenn dessen Ergebnisse sichtbar geworden sind.
Die Begriffe „Scheinheiligkeit“ und „Krieg“, „Menschenverstand“ und „Konkrethik“ sind die
vier Säulen dieses Buches. Ihre Wechselwirkung ist der rote Faden, der sich durch die folgenden Texte zieht. Diese werden nicht zwingend chronologisch entwickelt, denn jedes Kapitel ist auch eine weitgehend eigenständige Betrachtung. […]
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